Vor mehr als zwei Jahren wurden Einwendungen gegen den Bahnhaltepunkt Süd eingereicht, viele kamen aus Reihen der Bürgerinitiative gegen das Projekt – wie haben Sie die Wartezeit genutzt?
Wir beobachten die Lage, insbesondere auch mit Blick auf ähnliche Projekte der Bahn, wo wir mit Sorge sehen, wie sich dort die Kosten verdoppeln bis verdreifachen.
In den zurückliegenden Monaten haben wir wie zuvor Kontakte mit den Parteien in Speyer gesucht und Aufklärung betrieben, aber auch Klärung unserer Punkte und Fragen gesucht. Wir stellen dabei fest, dass sich manche Parteien mit den Punkten inhaltlich tief auseinandersetzen wollen, während andere weniger bereit waren, sich mit den Interessen und Fragen der Bürger richtig auseinanderzusetzen (z.B. die Grünen)
Wir reagieren aber auch auf zweifelhafte Aussagen seitens der Politik. So hatten die GRÜNEN im Kommunalwahlkampf zwei Tage vor der Wahl einen Handzettel im Kämmerer- und Oberkämmerergebiet verteilt, der den Anschein erwecken sollte, als könnten die meisten Bäume erhalten bleiben. Das ist definitiv falsch; das hatten wir zuvor Frau Münch-Weinmann und Herrn Czerny bereits in einem persönlichen Gespräch und unter Hinzuziehung der konkreten Baupläne erläutert. Die Pläne sind eindeutig: Alle Bäume im betroffenen Gebiet müssen gefällt werden. Daher stellte dieser Handzettel aus unserer Sicht eine Wählertäuschung im Wahlkampf dar. Hier haben wir sehr schnell mit einer Gegendarstellung reagiert.
Wir haben die Zeit zudem genutzt, um für die Öffentlichkeit alle problematischen Aspekte und Inhalte unserer Einsprüche umfänglich aufzuarbeiten und unter www.kein-haltepunkt-süd.de ins Netz zu stellen.
Erschwert es eine solche Phase, die Leute zusammen- und den öffentlichen Protest aufrechtzuerhalten?
Aus unserer Erfahrung überhaupt nicht – wir stehen in Kontakt mit den Mitgliedern und betroffenen Bürgern und pflegen auch einen sehr regelmäßigen Austausch innerhalb unserer Initiative.
Wir sind nach wie vor hoch motiviert, dieses unnötige und sehr teure Projekt für Speyer mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern.
Darüber hinaus erreicht uns wie bisher auch viel Zuspruch und die Aufforderung, unsere Arbeit aufrechtzuerhalten. Ein „Abflachen“ beobachten wir hier keineswegs.
Für wie viele Leute sprechen Sie derzeit?
Wir sprechen für ca.1300 Unterstützer, die aktiv mit ihrer Unterschrift ihre Bedenken gegen den geplanten Bahnhalt ausgesprochen haben. Viele der fast 400 Einsprüche im Planfeststellungsverfahren stammen auch von diesen Bürgern, denen dieses Thema so wichtig ist, dass sie sich informiert und aktiv dagegen ausgesprochen haben. Die Anzahl der Privatpersonen, die einen Einspruch gegen das Projekt in der vorgestellten Form gestellt haben, ist übrigens um ein Vielfaches höher als bei zurückliegenden Projekten in Speyer, z.B. beim Ausbau des Flugplatzes.
Unser Organisationsteam umfasst 12 aktive Personen mit Expertise in den Bereichen Bauingenieurwesen, Ökologie, Medizin, Wirtschafts- und Rechtswissenschaften. Darüber hinaus haben wir Experten im Umfeld, die die Initiative zusätzlich mit Fachwissen aus diesen Bereichen, sowie mit Kenntnissen in Verwaltungs-/Verfahrensrecht anreichern.
Welche konkreten Erwartungen haben Sie in den Erörterungstermin?
Wir erwarten, dass endlich die zentralen Fragen der Antragsteller hinreichend geklärt werden. Diese Fragen betreffen nicht nur die konkrete Betroffenheit einzelner Anwohner, sondern auch Belange, die die gesamte Stadt betreffen. Konkret heißt dies auch für die Stadt: Was kostet das Projekt am Ende? Sicherlich nicht nur 5 Mio €.!
Bürgerbeteiligung ist für uns ein hohes Gut und wir gehen davon aus, dass die Parteien im Stadtrat ebenso an dieser Klärung interessiert sind wie wir. Da der Stadtrat dem weiteren Prozess nur unter der Auflage zugestimmt hat, dass keine wesentlichen Kostensteigerungen und keine Verschlechterung der Situation am Bahnübergang Schützenstraße auftreten, wird der Stadtrat nochmals über das weitere Prozedere abstimmen müssen. Diese notwendige neue Entscheidung im Stadtrat sollte dann unter Abwägung aller Sachverhalte unabhängig von parteipolitischer Interessen zum Wohle der Stadt überdacht und neu getroffen werden.
Wichtig ist dabei Transparenz und Klarheit über die Auswirkungen der Maßnahme auf Mensch, Natur, Klima und Verkehr genauso wie auf den Haushalt der Stadt.
Ist es aus Ihrer Sicht problematisch, wenn er Corona-bedingt wieder einige Monate verschoben wird?
Hier geht doch ganz klar der Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor. Egal ob Befürworter oder Gegner sollten wir uns in der aktuellen Krise sehr besonnen verhalten.
Die Corona-Krise zeigt aber auch, dass es jetzt gilt, andere Schwerpunkte zu setzen. Wo muss nach Corona längerfristig Geld investiert werden? Bestimmt nicht in einen unnötigen dritten Haltepunkt innerhalb Speyers.
Aber: Nach fast zwei Jahrzehnten der Diskussion es ist wichtig, endlich Klarheit und Transparenz für die Anwohner zu bekommen!
Ihre heutige Einschätzung: Wird es klappen, das Projekt zu kippen?
Wir werden uns nach wie vor mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln dafür einsetzen. Da wir bisher im Hinblick auf die Auswirkungen auf Mensch und Natur, zu den klimatischen Auswirkungen und auch den Verkehr um den Haltepunkt kein nachhaltiges und tragfähiges Konzept erkennen konnten, gehen wir davon aus, dass dieses Projekt nicht umgesetzt werden kann.
Mit der Bereitschaft in diese Auseinandersetzung zu gehen, werden wohl auch die Pro-Haltepunkt Parteien nicht mehr an ihrer Einschätzung festhalten können. Die kritische Haltung der Grünen zu fragwürdigen Infrastrukturprojekten wie z.B. Stuttgart 21 hätten wir uns auch hier gewünscht.
Was werden die entscheidenden Argumente sein?Diese bleiben wie bereits von Beginn an die gleichen. Im Grunde geht es um:
- Auswirkungen auf Mensch, Umwelt und Natur, die bei diesem Projekt in keinem ausgewogenen Verhältnis zum Nutzen stehen.
- An dem gewählten Standort geht das offizielle Gutachten von massiven Auswirkungen in der Stadtlandschaft aus: Viele groß gewachsene Bäume müssen gefällt werden entlang einer nachgewiesenen Frischluftschneise für die Innenstadt (u.a. gem. Klimagutachten der Stadt). Flächenversiegelung statt Grüngürtel.
- Nachteilige Auswirkungen auf den Verkehr im südlichen Stadtgebiet z.B. durch unvermeidbare längere Schrankenschließzeiten an der Schützenstraße, aber auch an der Alten Schwegenheimer Straße, oder auch durch Parksuchverkehr im Kämmerergebiet, in dem viele Schüler ihren Schulweg auf ohnehin schon engen Straßen haben.
- Auf der Nutzenseite stehen Fahrgastzahlen, bei denen über 60% reine Verlagerung vom gerade mal 1,2 km entfernten Hauptbahnhof sind.
- Hinzu kommen deutliche Beeinträchtigungen und Belastungen der Bürger während der Bauphase. So spricht bereits das Gutachten der Bahn in einzelnen Bauphasen (z.B. bei der Untertunnelung) von deutlichen Überschreitungen der Immissionsrichtwerte an etwa 85 Gebäuden, für die auch die Bereitstellung von sog. „Ersatzwohnraum“ in Frage kommt. Auch wird eine Begutachtung bezüglich möglicher Schäden an den Gebäuden angeraten.
- Auch die massiven Kosten, von denen einiges auch die Stadt zu tragen hat sind aus unserer Sicht unverhältnismäßig. Im bisherigen Plan wird von 5,1 Mio. € Kosten für das Bauwerk ausgegangen. Nicht ohne Grund hat der Stadtrat in seiner Sitzung am 11. Mai 2017 dem weiteren Prozess nur unter der Auflage zugestimmt, dass keine wesentlichen Kostensteigerungen mehr auftreten dürfen. Erschreckend ist dabei, wie manche Politiker unserer Stadt mit dem ihnen anvertrauten Steuergeld umgehen. So reagierte z.B. der Fraktionsvorsitzende der CDU auf eine von uns durchgeführte Überschlagsrechnung, nach der sich die Gesamtkosten des Haltepunkts ungefähr verdoppeln dürften (mittlerweile bei anderen Haltepunkten Realität) mit der Aussage, dass eine Verdopplung noch im Rahmen sei, eine Verdreifachung dürfe es nur nicht geben. Da dürfte das Verständnis von „keine wesentlichen Kostensteigerung“ in der allgemeinen Bevölkerung doch ein anderes sein. In der derzeitigen Krisensituation wirkt eine solche Kalkulation bereits jetzt inakzeptabel und unverantwortlich.
- Weitere Argumente und Hintergrundinformationen finden sich auch unter www.kein-haltepunkt-süd.de
Wie sehen Sie die Entwicklung im Stadthaus, wo 2019 mit Stefanie Seiler eine Haltepunkt-kritische Oberbürgermeisterin die Verantwortung übernommen und eigene Verkehrsuntersuchungen auf den Weg gebracht hat?
Wir begrüßen jede sachlich inhaltliche Auseinandersetzung mit dem geplanten Projekt unter Abwägung und Einbezug aller Interessen und Aspekte – und genau das macht Stefanie Seiler.
Mehr E-Mobilität, ein neuer Busverkehr, aber auch weiterhin eine S-Bahn Rhein-Neckar auf der Erfolgswelle – spielt die Zeit für oder gegen die Initiative?
Aus unserer Sicht braucht es hierfür keine „Zeit“. Die Zeit ist bereits jetzt. Es stehen schon heute alle technischen Möglichkeiten offen. Z.B. könnte tatsächlich ein sinnvoll getakteter Busverkehr im Kämmerer- und Oberkämmerergebiet mit kleinen E-Bussen eine für die Bürger viel umweltfreundlichere und auch entspanntere Mobilität bringen (Beispiel Frankreich). Auch zum Ausbau des Fahrradnetzes wollte die Stadt noch ein Verkehrskonzept vorlegen. Dieses erwarten wir mit Spannung.
Was sind Ihre nächsten Pläne?
Wir begleiten das Projekt weiterhin kritisch – die Stärke unserer Bürgerinitiative ist, dass wir sehr fundierte Argumente haben, die nach wie vor Ihre Gültigkeit haben und wir sehr schnell und flexibel auf alle anstehenden Schritte reagieren können.